Im Norden Niedersachsens zwischen Hamburg und Cuxhaven findet sich ein bundesweit ungewöhnliches Bauwerk, die sog. Schwebefähre über die Oste. Die „Fähre“ ist vom Typus her den beweglichen Brückenbauten zuzurechnen und als Sondertyp in dieser Gruppe äußerst selten. Insgesamt bestanden weltweit nur 20 Bauwerke, von denen heute noch acht Exemplare erhalten sind, davon zwei in der Bundesrepublik Deutschland. Neben der Ostener Konstruktion ist das zweite Bauwerk Teil der Rendsburger Eisenbahnhochbrücke über den Nord-Ostsee-Kanal in Schleswig-Holstein.
Die ersten Schwebefähren entstanden im ausgehenden 19. Jahrhundert vor dem Hintergrund der Lösung des mit dem enorm anwachsenden Fahrzeugverkehr entstandenen Problems, schiffbare Flüsse bzw. Gewässer zu überqueren, ohne eine Behinderung für den Schifffahrtsverkehr, aber auch für den Landverkehr zu sein. Die Jahrhunderte alte Einrichtung von normalen Fähren standen in der Regel vor dem Problem von Gezeiten abhängig oder einer Gefährdung durch Hochwasser bzw. Eisgang im Winter ausgesetzt zu sein. Normale Brückenbauten erforderten für die Durchlässigkeit des Schiffsverkehrs z. T. große Höhen, die nur mit langen Anfahrtsrampen zu bewältigen waren. Dies war z. T. in dicht besiedelten Gebieten nicht durchführbar und verursachte zudem enorm hohe Kosten. Die dritte Möglichkeit, mit bisher bekannten beweglichen Brücken das Problem zu lösen, scheiterte bei großen Gewässerbreiten einerseits an den hohen Kosten, andererseits an der Effektivität der Bewältigung des Landverkehrs durch häufiges Schließen der Brückequerung bei durchfahrenden Schiffen. Dies war insbesondere auf viel befahrenen Schifffahrtswegen eins der Hauptprobleme, bewegliche Brücken zu installieren. Der Bau von Schwebefähren beschränkte sich etwa auf die Zeit zwischen 1893 (erstes Bauwerk in Bilbao/Spanien) und 1916 (Warrington/England) und liegt vermutlich in der Tatsache begründet, dass ab den 20er Jahren der Landverkehr in einem Maße anwuchs, der von den Gondeln der Schwebefähren nicht mehr zu bewältigen war. Man entschied sich seit dieser Zeit offensichtlich für starre und permanent zu querende Brückenbauten, die aufgrund ihrer Höhe dem Schiffsverkehr Durchlass ermöglichten.
Die Schwebefähre in Osten überquert den Fluss Oste, der etwa 20 km flussabwärts in die Elbe mündet. Die Querung erfolgt an einer alten und bedeutenden Handelsstraße, an der sich der Verkehr zu Beginn des 20. Jahrhunderts relativ stark entwickelt hatte, so dass die bisher eingesetzte normale Flussfähre keine ausreichende Kapazität mehr besaß. Die ersten Überlegungen zum Bau einer festen Brücke mit drehbarer Öffnung ließen enorm hohe Kosten erwarten, so dass man letztendlich zur Konstruktion einer eisernen Schwebefähre kam. 1905 erteilte die Gemeinde Osten der Maschinenfabrik Augsburg/Nürnberg AG (MAN) den Auftrag zur Ausführung. Als Bauleiter wurde ein Schüler Gustav Eiffels, der Ingenieur Louis Pinette aus Berlin beauftragt. 1909 konnte die Schwebefähre eröffnet werden. Die Baukosten beliefen sich nur auf etwa die Hälfte der für eine Drehbrücke angesetzten Kosten, wobei die laufenden Unterhaltskosten durch ein sog. Fährgeld abgedeckt werden konnten.
Die Schwebefähre besteht aus einem Traggerüst in genieteter Stahlfachwerkkonstruktion, bei dem der über dem Fluss liegende Hauptträger, an dem auch die Fahrgondel hängt, auf jeweils zwei Stützen je Ufer gelagert ist. Die Tragkonstruktion der Fahrgondel besteht ebenfalls aus Stahlfachwerk, das am Untergurt des Brückenhauptträgers aufgehängt ist. Am unteren Ende der Tragkonstruktion befindet sich der Fährponton. Der Antrieb erfolgt mittels Elektromotor über vier Räder, die auf der Schienenkonstruktion des Hauptträgers laufen. Die zunächst mit Gleichstrom und einer Pufferbatterie ausgestattete Elektrik (von der AEG in Berlin installiert) wurde nach 1920 auf Drehstrom umgestellt und bedeutete damit eine erste Veränderung der ursprünglichen Anlage. In den folgenden Jahrzehnten des Betriebes wurden weitere kleinere Veränderungen vorgenommen, insbesondere durch die einer wachsenden Verkehrsbelastung angepassten Verstärkung des Stahlfachwerks. Als schließlich 1974 eine neue Brücke im Zuge einer Umgehungsstraße gebaut wurde, musste die Schwebefähre endgültig ihren Betrieb einstellen. Der zunächst geplante Abbruch der Schwebefähre konnte durch rechtzeitiges Einschreiten der Denkmalbehörden verhindert werden, die bereits im gleichen Jahr die Schwebefähre als technisches Kulturdenkmal unter Schutz stellten. Dass bereits in dieser Zeit ein technisches Objekt in Niedersachsen unter Schutz gestellt wurde, zeigt die sehr hohe Wertigkeit, die schon damals dem Bau zuerkannt wurde. Die Fähre wurde schließlich von einem Förderverein übernommen, der sich seit dieser Zeit intensiv um die Erhaltung und die Funktionsfähigkeit des Objektes bemüht. Mehrmalige Instandsetzungsmaßnahmen wurden mit erheblichen Mitteln des Landes Niedersachsen gefördert. Bis 2001 war die Fähre für touristische Zwecke weiterhin in Betrieb, als eine erneute Stilllegung wegen erheblicher Mängel am Traggerüst und der Technik erfolgen musste. Nach dem seinerzeit angefertigten Gutachten war festzustellen, dass neben dem defekten Antrieb sowie einer abgängigen Elektrik auch erhebliche Maßnahmen für den Rostschutz und Anstricharbeiten erforderlich sein würden.
Die sehr hohe denkmalpflegerische Bedeutung des Objektes und die erfolgte Anerkennung als Denkmal von besonderer nationaler kultureller Bedeutung führte dazu, dass die erforderlichen erheblichen Finanzmittel für die Restaurierungsmaßnahme von ca. 1,1 Millionen Euro letztendlich durch staatliche Mittel und ein beachtliches Spendenaufkommen privater Institutionen und Personen erreicht werden konnte. In den vergangenen beiden Jahren wurde die Schwebefähre nach sorgfältiger Planung in Stand gesetzt, so dass im August 2005 die technische Funktion wieder hergestellt werden konnte und unmittelbar danach die Einrüstungs- und Instandsetzungsarbeiten für den Rostschutz und die Malerarbeiten am Traggerüst erfolgen konnten. Zur Zeit der Abfassung dieses Artikels war die abschließende Maßnahme zu etwa einem Drittel fertiggestellt, so dass damit gerechnet werden kann, dass vermutlich Ende Oktober das Gesamtbauwerk wieder hergerichtet sein wird. Beabsichtigt ist die erneute Inbetriebnahme im Frühjahr des Jahres 2006.
Für die niedersächsische Denkmalpflege war es eine große Herausforderung, dass es trotz der hohen Kosten gelungen ist, eines der bedeutendsten technischen Denkmale der Bundesrepublik in seinem äußeren Erscheinungsbild und insbesondere in seiner technischen Funktionsfähigkeit wieder herzustellen und der Öffentlichkeit weiterhin zur präsentieren zu können.
Quelle:
http://www.denkmalpflege.niedersachsen.de/master/C14746015_N14745730_L20_D0_I10768338.html